Von dürstend grau bis schwefelgelb

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Und so setzt er zum ersten Schritt an. Beim Blick nach unten auf seine Füße fällt ihm auf, dass er seinen angegrauten zweiteiligen Schlafanzug trägt. Das aufsteigende Gefühl von Scham kann er gerade noch so abwenden, in dem er seine Gedanken auf die Logik dieses Umstandes lenkt. „Ist ja auch irgendwie klar – mein Realitäts-Ich hatte als letztes den Schlafanzug an. Ich kann mich nicht daran erinnern, mich als Traum-Ich anschließend auf der Brücke umgezogen zu haben.“ Jona muss kurz über seinen eigenen Witz schmunzeln. Seine Freunde hatten ihn oft für seinen Dad-Joke-Humor mit einem Augenverdrehen belächelt. Jetzt, hier in dieser unwirklichen Umgebung ist er irgendwie dankbar dafür, dass es wenigstens eine Sache gibt, die sich nicht verändert hat. Und natürlich die Tatsache, dass er in seinem geliebten Pyjama durch die Highlands seines Traumhirns wandert.

Seine nackten Füße tragen Jona über einen armbreiten Pfad aus staubtrockener Erde. Die ausgelaugten Grasbüschel zu beiden Seiten haben große Mühe seine Ausbreitung zurückzuhalten. Jona war keineswegs ein Wandermuffel. Ganz im Gegenteil – er war süchtig nach diesem Mantra-artigen Zustand, in den er sich beim Wandern versetzen konnte. Das rhythmische Nacheinanderaufsetzen der Schuhe, die ausbleibende Ablenkung von Alltagsdingen und die vergleichsweise saubere Luft verhalfen ihm, jeden Waldweg zu einer mehrstündigen Meditation zu transformieren. Ein Zustand, den Jona auf diesem Pfad nie erreichen wird. Angetrieben von Nervosität und Unbehagen schweifen seine Augen im Drei-Sekunden-Takt von den verstaubten Füßen zum graugelben Himmel und zurück.

„Dieser Rauchgeruch macht mich wahnsinnig!“ flucht Jona stumm in sich hinein. Auch hätte er von sich behauptet, ganz gut „in Shape“ zu sein. Jetzt wird ihm bewusst, dass ihn der ziellose Marsch schneller außer Atem bringt als ihm lieb ist. Er bleibt kurz stehen, um die Wolkenformationen links vom Pfad genauer zu inspizieren, die ihm schon vor ein paar Atemzügen aufgefallen sind. Zwischen den kümmerlich mit dürstenden Grasstängeln bewachsenen Hügeln sind am Ende des Horizonts tiefgraue Cumulonimbus-Formationen zu erkennen. Diese gigantischen ambossförmigen Wolkenklippen sind Jona aus einer kurzen Nerd-Phase zum Thema Meteorologie besonders im Kopf geblieben. Er wird regelmäßig von diversen obsessiven Special-Interest-Phasen heimgesucht, was sein soziales Umfeld bestaunt und gleichermaßen belächelt. Im Hier und Jetzt spielt dieses Feedback keine Rolle. Sein Nischenwissen macht Jona allerdings auf ein kleines Detail aufmerksam: der sogenannte Turm, der für gewöhnlich einen knappen Kilometer über dem Erdboden aus dem Nichts entsteht, wird bei diesem einschüchternden Objekt von zusätzlichen Schwaden gefüttert, die dem Boden entspringen. Jona zuckt ruckartig zusammen und fällt vor schwindender Kraft in ein vertrocknetes Moosbett am Rand des Pfades. „Das kann nicht s…, das sind … keine Wolken. Feuer!“ fallen ihm die Worte stotternd über seine rissigen Lippen. Weil er nur einen kleinen Ausschnitt des Infernos durch die Hügel erkennen kann, beschliesst er, sich mit letzter Kraft bis zur Hügelspitze am Ende des Pfades zu schieben.
Einige Höhenmeter später fällt Jona vor Erschöpfung über einen faustgroßen Stein und kippt in die ausgedünnte Pfadkante zu seiner rechten Seite. Der höchste Punkt ist erreicht. Jona braucht zwei Versuche, um sich mit der linken Hand aufzustützen und auf den Rücken zu rollen.
Über ihm spielt sich ein befremdliches Schauspiel ab. Schwefelgelbe Wolken wälzen in alle Himmelsrichtungen und vermischen sich mit grüngrauen Schwaden. „Verdammt, ich muss hier weg.“ Jona stößt beide Hände in die Graswüstenboden und stolpert den Pfad entlang Richtung Norden.

Keine 50 Laufschritte weiter kommt er an eine Gabelung, die durch einen mit Flechten bewachsenen und ungewöhnlich krummen Baumwegweiser markiert ist. Die fragezeichenartige Verformung des Stammes lässt die zwei entgegengesetzt angebrachten spitzen Latten nur erahnen, dass sie jeweils die zwei Wegmöglichkeiten beschreiben. Selbst die eingefrästen Buchstaben auf den Latten sind durch den starken Flechtenbewuchs nur zu vermuten.

Jona bleibt nur der Blick in die Ferne entlang beider Wegoptionen, um eine Entscheidung zu treffen. Zur Auswahl stehen links ein Trampelpfad, der sich wieder den Hügel hinunter schlängelt und im Talnebel verschwindet, und rechts ein ebenso dünner Pfad, der auf einer gegenüberliegenden Bergspitze in einem kahlen Wald mündet. Die Sache ist klar – Jonas Sicherheitsbedürfnis übernimmt das Ruder und führt ihn ohne Zögern in den Wald.

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